Im Mittelpunkt der Patient

Interview: Health Bells (Marc Glesener)

Health Bells: Welches sind für Sie in den kommenden Jahren die zentralen Herausforderungen für das luxemburgische Gesundheitswesen? Ist das System gesund?

Martine Deprez: Also mit dem System und seiner Gesundheit ist das so eine Sache. Bevor ich vor zehn Monaten das Ressort übernommen habe, dachte ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen das System funktioniere eigentlich ganz gut. Ich bekam, was ich brauchte. Als zuständige Ministerin habe ich festgestellt, dass einzelne Rädchen des Systems noch besser ineinandergreifen müssten als dies der Fall ist.

Health Bells: Was bedeutet das konkret?

Martine Deprez: Die Übergänge des Systems, das historisch gewachsen ist, müssen verbessert werden. Ich denke da zum Beispiel an die Schnittstellen von Primärversorgung und Spitalsektor. Für viele Patienten sind diese Übergänge immer noch ein echter "parcours du combattant". Wir brauchen ein System, das den Patienten, seine Bedürfnisse und Interessen in den Mittelpunkt stellt.

Der Patient muss sich zurechtfinden und verstehen, was mit ihm passiert.

Health Bells: Um das sicherzustellen, bedarf es der notwendigen finanziellen Mittel, oder?

Martine Deprez: Das stimmt. Aber wir müssen uns in erster Linie die Frage stellen, was gebraucht wird. Welche medizinischen und pflegerischen Dienste wollen wir für die Patienten und wer soll diese Dienstleistungen erbringen? Das ist die zentrale Frage überhaupt. Dieser Frage werden wir mit der Gesundheitskasse und den Akteuren des Systems wissenschaftlich auf den Grund gehen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen.

Die Finanzierungsfrage wird gestellt und muss gestellt werden. Aber erst wenn wir wissen, was sein muss und was wir für die Patienten wollen. Das ist ein echter Paradigmenwechsel. Um diesen zu erreichen, ist es wichtig, dass Gesundheit und soziale Sicherheit in einem Ministerialressort zusammengefasst worden sind. Um es einfach auszudrücken: Wir müssen gesundheitspolitisch Akzente setzen und danach die Finanzierung organisieren. Nicht umgekehrt.

Health Bells: Was bedeutet dies für die Krankenhäuser?

Martine Deprez: Im Vorfeld von Budgetdiskussionen und aufgrund wissenschaftlicher Daten soll definiert werden, was gebraucht wird und wer die benötigten Leistungen erbringen muss. In diesem Ansatz sollen Pfleger von administrativem Aufwand befreit werden können.

Health Bells: Eine Frage zu den so genannten Krankenhausantennen: Wo stehen wir in diesem Dossier?

Martine Deprez: Bis dato wurde von den vier großen Krankenhäusern kein zusätzlicher Standort (so richtig formal) angefragt.

Eine Evaluierung von solchen neuen Standorten, wie sie im 2023er Gesetz vorgesehen ist, kann es demnach nicht geben. Für mich gehört auch deshalb die Gesetzgebung auf den Prüfstand.

Dies unter anderem auch, damit neue Anreize für den liberalen Sektor geschaffen werden.

Health Bells: Anreize, die zu was führen sollen?

Martine Deprez: Zum Beispiel zu der Schaffung von regionalen Versorgungszentren, wie es sie in der Schweiz oder in Österreich gibt. Dabei handelt es sich um Strukturen, die von einer Apotheke, über Praxen bis hin zu einer kleinen Poliklinik inklusive kleiner stationärer Einheiten ein breites Spektrum der Primärversorgung umfassen.

Health Bells: Könnten solche Zentren auch sozusagen an Krankenhäuser angeschlossen werden?

Martine Deprez: Könnten sie. Besonders wichtig ist es jedoch, die Primärversorgung und den Krankenhaussektor - was den Austausch von Informationen angeht -richtig und effizient zu vernetzen. Auch soll der Übergang vom einen in den anderen Sektor für die Patienten möglichst einfach gestaltet werden.

Die Vernetzung und das Miteinander sind das A und 0 einer adäquaten medizinischen und pflegerischen Betreuung.

Health Bells: Die neue Regierung hat eine Reorganisation der Notaufnahmen angekündigt.

Martine Deprez: Ja, das stimmt. In diesem Zusammenhang wird zum Jahresende eine breit angelegte Kampagne gestartet, um über Sinn und Zweck der Notaufnahmen zu informieren.

Health Bells: Wie ist das zu verstehen?

Martine Deprez: Es geht vor allem darum, Unterschiede zwischen den Aufgaben der Primärversorgung, also von Hausärzten und Kinderärzten und Notaufnahmen zu verdeutlichen. Wird die Primärversorgung gestärkt, können sich Notaufnahmen auf ihre eigentlichen Aufgaben fokussieren.

Health Bells: Und die "maisons médicales"?

Martine Deprez: Persönlich bin ich der Meinung, dass vernetzte Strukturen, die den Patienten längerfristig begleiten, das Beste sind. Hausärzte, regionale Polikliniken, Notaufnahmen, Krankenhäuser, sie alle sollen ein möglichst vernetztes Ensemble bilden. Wir brauchen klare und nachvollziehbare Aufgabenteilungen und ein Umfeld, in dem sich Patienten zurechtfinden.

Health Bells: Mehr Vernetzung, das bedeutet natürlich auch neue Ansätze in der Digitalisierung.

Martine Deprez: Natürlich. Hier brauchen wir ein sicheres, aber einfaches System, das die richtigen Daten, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zugänglich macht.

Health Bells: Klingt einfach, aber ist das nicht mit beträchtlichem Aufwand verbunden?

Martine Deprez: Wir müssen als Land wissen, was wir wollen und uns danach entsprechend aufstellen. Erster Schritt sind einheitliche Standards bei der Datenerfassung.

Health Bells: Kommen wir zurück zum Thema Personal. Was muss getan werden, um dem kontinuierlich steigenden Bedarf an Pflegern auf der einen, und Ärzten auf der anderen Seite zu entsprechen?

Martine Deprez: Was die Pflegeberufe angeht, so müssen wir mehr Leute ausbilden.

Das setzt voraus, dass mehr Jugendliche sich für diese Berufe interessieren. Das Bild der Pflegeberufe muss im positiven Sinne geschärft werden. Auch sollten wir über neue Bildungswege nachdenken, die den Leuten Perspektiven im Beruf bieten.

Bei den Ärzten kommen wir nicht an einer Ausweitung des universitären Angebots in Luxemburg vorbei; Stichwort Master. Parallel dazu müssen wir die Attraktivität des Standorts in den Bereichen Innovation und Forschung stärken.

Health Bells: Eine Frage zu den Infrastrukturen. Von der Planung bis zur Eröffnung eines neuen Spitals dauert es zehn Jahre und mehr. Ist das nicht zu lange?

Martine Deprez: Ja, wobei wir vor allem in der Nachdenkphase schneller werden müssen. Wir sollten früher anfangen, über die mittelfristigen Entwicklungen und Bedürfnisse nachzudenken.

Die zehn Jahre von der definitiven Planungsphase bis hin zum fertigen Projekt sind nicht das zentrale Problem.

Hier sind genau definierte Prozesse und Verfahren unumgänglich. Es kommt aber darauf an, was inhaltlich nach zehn Jahren gebaut worden ist und ob dies dann dem entspricht, was wir zu diesem Zeitpunkt brauchen. Wir müssen lernen, längerfristig zu planen und zu denken.

Das ist eine große, wenn nicht sogar die größte Herausforderung ans System.

Health Bells: Kommen wir abschließend zur Prävention. Diesem Thema wurde im Regierungsprogramm viel Platz eingeräumt. Was wird sich ändern?

Martine Deprez: Das Ziel der Prävention besteht darin, den Menschen zu helfen, länger gesund zu bleiben. Prävention ist daher ein entscheidendes Element gut gemachter öffentlicher Gesundheitspolitik. Die Frage, was wird sich ändern, würde ich umformulieren in, was hat sich geändert...

Health Bells: Und was meinen Sie damit...

Martine Deprez: Einige Maßnahmen wie die Programme zur Früherkennung von Brustkrebs und von Darmkrebs sind schon bekannt, und seit dem 1. Juli wird in Luxemburg bereits ab dem Alter von 45 Jahren und bis 74 jeder eingeladen, an diesen Programmen teilzunehmen.

Damit sind wir einer Empfehlung der EU-Kommission gefolgt. Über solche offizielle Screeningprogramme hinaus wollen wir Gesundheitsprävention, aber vor allem Promotion, weiter fördern.

Sämtliche laufenden Programme werden auf ihre Effizienz überprüft und gegebenenfalls angepasst. Weiter ist geplant, die Schulmedizin weiterzuentwickeln in Richtung Gesundheit in der Schule, wo auch die mentale Gesundheit sowie das soziale Umfeld verstärkt mitberücksichtigt werden sollten. Einige Akteure sind dabei schon sehr gut aufgestellt und haben Pioniergeist geleistet, ihre Erfahrung werden wir in Betracht ziehen, um für jeden Schüler und Studenten die bestmögliche schulische Gesundheitsbegleitung zu schaffen.

Dabei wird die "Bewegung" im Mittelpunkt stehen, wie kürzlich unterstrichen wurde bei Rundtischgesprächen im Rahmen der Maison de Luxembourg in Paris JO 2024. Eine an jeden angepasste, wenn nötig, therapeutische Bewegung ist dabei als Notwendigkeit von allen Gesprächspartnern angesprochen worden. Es gibt viel zu tun...

Regierungsmitglied

DEPREZ Martine

Datum des Ereignisses

26.09.2024